Die deutsche Medizintechnik-Industrie / SPECTARIS Jahrbuch 2021/2022

46 Regulatory Affairs | Kleinstunternehmen und die europäische Medizinprodukteverordnung – Nicht nur eine finanzielle Herausforderung Kleinstunternehmen und die europäische Medizin- produkteverordnung – Nicht nur eine finanzielle Herausforderung als entsprechende Umsetzungshilfe der EU-Kommission zur alten Richtlinie über Medizinprodukte 93/42/EWG (MDD) und der Richtlinie für aktiv implantierbare medizinische Geräte 90/385/ EWG (AIMDD) innerhalb der gesamten Anwendungsdauer der Richtlinien. Die Anforderungen der MDR stellen alle Hersteller der Medizin- produktebranche vor große Herausforderungen; deren Komple- xität hat sich allerdings erst im Laufe der letzten Jahre mehr und mehr herauskristallisiert. Was auch darauf zurückzuführen ist, dass die MDR alles andere als einfach zu verstehen ist. Je öfter man sie liest, desto unterschiedlicher fallen auch die eigenen Interpretationen aus. Und auch wenn die Bundesregierung im Rahmen der Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP (Drucksache 19/29452 vom 06. Mai 2021) den transparenten Prozess der Notifizierung der MDR-benannten Stellen und die Vielzahl der Leitlinien als Grund- lage dafür sieht, den Übergangsprozess rechtzeitig planen und die damit verbundenen Kosten kalkulieren zu können, so ist die Wahrnehmung der Hersteller vermutlich grundlegend anders als transparent, planbar und kalkulierbar. » Berücksichtigung der in diesem Sektor tätigen kleinen und mittleren Unternehmen Nach nunmehr über 25 Jahren Tätigkeit und 21 Jahren Selbst- ständigkeit im Medizinproduktebereich betrachte ich die derzei- tige Entwicklung kritisch vor allem in Hinblick auf die Zukunft von Nischenprodukten, Produkten für spezielle Zielgruppen oder anderen Produktgruppen, bei denen die wirtschaftlichen und organisatorischen Aufwendungen eine Fortführung des Produk- tes nicht rechtfertigen. Können größere Firmen aus wirtschaftlicher Sicht gegebenenfalls noch auf das ein oder andere Produkt verzichten, so können Kleinstunternehmen dies in der Regel nicht und der Patient als leidiger Letzter in der Kette in der Regel erst recht nicht. R alf Klein, Geschäftsführer der Radimed GmbH in Bo- chum und zweiter Sprecher des Regulatory Forums Medizintechnik bei SPECTARIS stellt im Folgenden seine Erfahrungen bei der Anwendung der MDR und deren Auswirkungen insbesondere auf kleinste und kleine Unter- nehmen der Branche dar, wobei eine persönliche Interpre- tation und Bewertung spezieller Aspekte vorgenommen wird. Die Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (Medical Device Regulation, MDR) hat sich zum primären Ziel gesetzt, Medizinprodukte sicherer zu machen; also den Patientenschutz zu erhöhen und dabei gleichzeitig solide, transparent, berechen- bar, nachhaltig und innovationsfördernd zu sein – so steht es im Beweggrund 1 der MDR. Wie transparent und solide das Konstrukt der MDR ist, zeigt sich vielleicht schon daran, dass noch vor Geltungsbeginn der Ver- ordnung am 26. Mai 2021 bereits über fünfzig Leitliniendoku- mente seitens der Medical Device Coordination Group (MDCG) der Europäischen Kommission veröffentlicht wurden, welche die Beteiligten bei der Anwendung/Umsetzung der Verordnung un- terstützen sollen – und das zu einem Zeitpunkt, zu dem es keine wesentliche Erfahrung mit der Anwendung der Verordnung gab. Zum Vergleich: Es gab nur etwas mehr als 30 MEDDEV-Leitlinien Gastbeitrag Ralf Klein Geschäftsführer der Radimed GmbH

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