Die deutsche Medizintechnik-Industrie / SPECTARIS Jahrbuch 2022/2023

76 Gastbeitrag Einheitliches Patentgerichts- übereinkommen nun unmittelbar vor seinem Inkrafttreten Konstantin Schallmoser, LL.M. Rechtsanwalt Preu Bohlig & Partner, München, Paris Forschung & Innovation | Einheitliches Patentgerichtsübereinkommen nun unmittelbar vor seinem Inkrafttreten M it dem Inkrafttreten des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) wird zum 1. März oder 1. April 2023 gerechnet. Das EPGÜ wird zunächst in 17 EU-Staaten gelten. Derzeit baut der Verwaltungsausschuss des Gerichts dieses als Institution auf, wählt die Richter aus, verabschiedet die finalen Versionen der Verfahrensordnung und begleitender Rechts- und Ver- waltungstexte, inklusive der Gerichtsgebühren und der erstattungsfähigen Prozesskosten. Das EPGÜ schafft im Bereich der Patentstreitsachen ein neues, europäisches Zivilgericht, das Einheitliche Patentgericht (EPG). Langfristig wird dieses Gericht allein zuständig sein für zivilrecht- liche Streitigkeiten, die auf einem vom Europäischen Patentamt erteilten Patent beruhen. Es hat seinen Sitz in Paris, allerdings werden Verletzungsverfahren zumeist vor den Lokalkammern geführt werden, die innerhalb der EU verteilt sind. In Deutschland werden Düsseldorf, Mannheim, München und Hamburg eine Lokalkammer errichten. Mit dem EPG wird erstmals auf EU-Ebene ein Zivilgericht geschaf- fen. Keine Kompetenz hat das EPG allerdings für Vertragsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ), die nicht am EPGÜ teilnehmen, also Nicht-EU-Staaten wie Schweiz, Türkei, Norwegen, Island und das Vereinigte Königreich sowie die EU-Staaten Spanien, Kroatien und Polen. Für diese Länder erge- ben sich derzeit kaum Änderungen. Parallel hierzu entsteht das Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung (EPeW oder „Einheitspatent“). Grundlage für die Einheits­ patente ist – ebenso wie für die bekannten europäischen Paten- te – das seit den 1970er Jahren bekannte EPÜ, in dessen Rahmen das Europäische Patentamt (EPA) Europäische Patente (EP; auch als „Bündelpatente“ bezeichnet) erteilt. Die Neuerungen wirken sich erst aus, wenn ein Patent zur Erteilung kommt. Denn dann kann der Anmelder in Zukunft entscheiden, ob er so wie bisher verfährt (also Validierung in einzelnen EPÜ-Ländern) oder sich für das Einheitspatent entscheidet. Diese Auswahlmöglichkeit steht allerdings nur für solche EP zur Verfügung, die zukünftig erteilt werden. Das Einheitspatent ist ein einheitlicher Rechtstitel, der in allen teilnehmenden Staaten den gleichen Inhalt hat und nicht territorial unterschiedlich ausgestaltet sein kann. Für das Einheit- spatent ist ausschließlich das neue Gericht zuständig. Kann man als Zwischenschritt festhalten, dass EPG als neues Gericht und Einheitspatent als neue Form des Europäischen Pa- tents Änderungen für die Zukunft schaffen, die Sie unter Um- ständen erst in vielen Jahren interessieren werden? Nein. Und zwar aus zwei Gründen. Zum einen wird das EPG von vornherein für alle erteilten EP zuständig sein, also auch für diese, die schon bald am Ende ihrer Laufzeit angekommen sind. Bei einem Start 2023 kommen also alle EP in Betracht, die ab dem Jahr 2003 (!) angemeldet wurden und noch validiert sind. Diese zentrale Re- gelung wird oftmals gedanklich übersehen, da man ein neues Gericht mit einem neuen Rechtstitel gleichsetzt. Es kann daher nicht häufig genug betont werden, dass das Gericht von vorn- herein für alle bestehenden EP-Patente zuständig ist, also ab dem Start das zuständige Gericht für alle in Europa bestehenden EP-Patente sein wird. Zum anderen muss eine bestehende Schutzrechtsstrategie bereits heute an das EPG und die zukünftigen Möglichkeiten angepasst werden. Beispiel: Sie haben im Jahr 2016 ein Patent beim EPA angemeldet, das Patent steht nun zur Erteilung an: Wäre es in diesem Fall sinnvoll, auf das Inkrafttreten des EPGÜ zu warten? Kann man das überhaupt? (Ja, man kann!) Und was passiert mit dem parallelen deutschen Patent? Gerade im Bereich Medizintechnik kann das Einheitspatent finanzielle Vorteile bieten. Die Jahresgebühren entsprechen der Summe der bisherigen einzelnen Jahresgebühren der wichtigsten vier Länder (Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande), man deckt hiermit allerdings mindestens 17 EU-Länder ab. Durch die Zahlung einer einzigen Jahresgebühr an das EPA spart man sich erheblichen internen und externen Verwaltungsaufwand. Es ist daher genau zu prüfen, in welchen Ländern Schutz benötigt wird. Dabei sollte man auch berücksichtigen, dass sich z. B.

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