Die deutsche Medizintechnik-Industrie / SPECTARIS Jahrbuch 2023/2024

58 Market Access – Marktzugang | Drohendes PFAS-Verbot in der EU – das Ende vieler Medizinprodukte PFAS: Warum wir politisch agieren müssen und warum die Zeit drängt. » Das Yin und Yang der Persistenz Zu den wichtigen Eigenschaften der Fluorpolymere gehören*: langlebig, haltbar, temperaturstabil, chemisch inert# gegenüber hochalkalischen oder hochsauren Chemikalien, elektrisch isolierend, ruckfreie Bewegungen ermöglichend, biokompatibel, biostabil. Stoffe mit solchen Eigenschaften werden in der Natur oder im Körper nicht abgebaut. Persistenz hat die physikalische Dimension der Zeit. „Persistenz ist die Verweildauer einer chemischen Spezies in einem spezifisch definierten Kompartiment der Umwelt.“** Persistenz an sich steht in keinem Zusammenhang mit Risiko, Gefährdung, Exposition oder Toxizität. Auch Sand, Wasser oder Glas sind persistent. In der aktuellen Diskussion wird Persistenz negativ konnotiert (Framing). Stoffe mit solchen für die Medizintechnik wichtigen Eigenschaften sind zwingend persistent. Langlebigkeit und Persistenz sind wie zwei Seiten derselben Medaille, ein Yin und Yang. D. h. auch potenzielle Ersatzmaterialien, die es heute noch nicht gibt und die den Anforderungen zu genügen haben, müssen zwingend persistent sein. Persistenz per se kann kein Regulierungskriterium sein. * Auswahl, ohne Anspruch auf Vollständigkeit # in|ers (lat.) „ohne Kunstfertigkeit“, untätig, träge, wirkungslos ** Definition der International Union of Pure and Applied Chemistry, aus dem Englischen, R. GREENHALGH, 1980, Pure & Appl. Chem., Bd. 52, S. 2563-2566 I m Februar dieses Jahres wurde der ECHA ein gut 2.000-seitiger Beschränkungsvorschlag für Per- und Polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) vorgelegt. Mit dem 25. September ist die öffentliche Konsultationsphase abgelaufen, an der sich SPECTARIS und zahlreiche Mitgliedsunternehmen mit zum Teil detaillierten Eingaben beteiligt haben. Dr. Martin Leonhard Vorsitzender Medizintechnik im Deutschen Industrieverband SPECTARIS 2024 werden die Stellungnahmen der begutachtenden ECHA-Ausschüsse RAC (Committee for Risk Assessment) und SEAC (Committee for Socio-Economic Analysis) erwartet. RAC und SEAC sind überwiegend durch Vertreter nationaler Umweltbehörden besetzt. Der Vorschlag und die Stellungnahmen dienen der EU-Kommission dazu, in eigener Kompetenz und Verantwortung eine Verordnung als Anhang XV zur REACH-Verordnung in Kraft zu setzen. Rechtsgrundlage ist die Europäische Chemikalienstrategie (KOM(2020) 667), die wiederum Teil des European Green Deal ist. Als Anhang zu REACH folgt das Dossier dem Komitologieverfahren, bei dem die nationalen Regierungen oder das EU-Parlament im Wesentlichen formelle Prüfkriterien anwenden und nur mit qualifizierter Mehrheit das Verfahren noch stoppen könnten. So etwas passiert in der Praxis selten. Mit Inkrafttreten der Beschränkung ist eine generelle Übergangsfrist von 18 Monaten vorgesehen, nach der die meisten PFAS-haltigen Produkte oder materialabhängige Herstellprozesse verboten sein werden. Ausgenommen vom Verfahren sind lediglich aktive Substanzen in Human- und Veterinärarzneimitteln sowie Bio- oder Pestizide. Verlängerte Übergangsregeln sind in der Medizintechnik etwa für Implantate, Katheter oder Schläuche vorgesehen. In der Medizintechnik etwa werden vor allem Fluorpolymere wie Teflon® oder Fluorelastomere wie Viton® als Hochleistungswerkstoffe verwendet. Diese Werkstoffe, die in Kontakt mit dem menschlichen Körper kommen, sind biokompatibel und absolut chemisch inert, d. h. sie reagieren nicht mit potentiellen Reaktionspartnern. Gerade deswegen, wegen ihrer Persistenz, sollen sie weitgehend verboten werden.

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